„To be or not to be – oder die letzte Chance zweier Produktionsstandorte durch eine Fusion wieder wettbewerbsfähig zu werden. Ein spannender Tatsachenbericht über Organisationsentwicklung, Change Management, Kommunikation und Führung und was das alles mit Glück zu tun hat.“
Teil 7:
„Der Betriebsrat BR – und warum auch er Verantwortung trägt“
Als die Entscheidung für eine Zusammenlegung der beiden Standorte fiel, waren diese noch rechtlich eigene Gmbhs und daher gab es an beiden Standorten gewählte Betriebsräte mit jeweils einem freigestellten Betriebsratsvorsitzenden. Man wusste zu dem Zeitpunkt auch, dass ein Jahr später wieder BR-Wahlen anstanden, die dann nur mehr für einen gemeinsamen Standort gelten sollten. Man nahm somit bewusst in Kauf, dass es für ein ganzes Jahr lang – also während die Zusammenlegung stattfinden würde mit dem Umzug von Maschinen und Menschen, die den Arbeitsplatz wechselten etc. – zwei parallele Betriebsratsstrukturen geben wird. Ein Fehler, wie sich nachträglich herausstellte.
BR-Wahlkampf auf dem Rücken der Mitarbeiter und des Managements
Die beiden Standorte hatten unterschiedliche, vor allem historisch gewachsene Vertragsstrukturen und Betriebsvereinbarungen. Die Mitarbeiter hatten unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, Pausenregelungen und Raucherzeiten. Ebenso gab es nicht gleiche Regelungen bezüglich dem Gebrauch von Mobiltelefonen, unterschiedliche Vereinbarungen wann gestempelt werden muss etc. Gleichzeitig war klar, dass Personal abgebaut werden muss – dazu gab es ja klare Vorstellungen, die ich in den vorangegangenen Blogs ja geschildert habe. Besondere Pikanterie erhielt dieser Personalabbauplan ja u.a. dadurch, dass auch der BR aus seinem Team offiziell Leute verlieren musste – etwas was keinem aus dem BR wirklich schmeckte.
Das Management trat nun mit den Betriebsräten mit einer Reihe wie den oben genannten Punkten in Verhandlungen, um zum einen einen Interessensausgleich zu schaffen (also wie man mit den abgebauten Mitarbeitern umgeht) und zum anderen um eine Harmonisierung der Unterschiedlichkeiten für ein Werk zu ermöglichen. Eine einfache Rechnung ergab, dass man allein durch diese Harmonisierung eine Produktivitätssteigerung von 10 – 15% erzielen hätte können. Etwas, dass dem Werk mit seiner angespannten Kostensituation viel geholfen hätte. Allein man hat die Rechnung ohne die Betriebsräte gemacht. Und ich persönlich muss sagen es war teilweise schon sehr spannend, wo überall sich die Betriebsräte hineinreklamiert haben und mitreden, ja mitentscheiden wollten. Es war echt mühsam für das Management immer wieder beweisen zu müssen: „Das ist eine Managemententscheidung und nicht mitbestimmungspflichtig laut Paragraph soundso etc.“.
Fakt ist, es wurde von allen Seiten in den Verhandlungen gepokert und geblockt, es wurden im Unternehmen Halbwahrheiten verbreitet und Mitarbeiter für eigene Interessen eingesetzt. Es wurden Termine immer wieder nach hinten verschoben oder man war leider gerade nicht beschlussfähig.
Zum Beispiel wurden für das neue, gemeinsame Werk einfache „Verhaltensgrundsätze“ ausgearbeitet. Etwas was es schon teilweise gab und wieder aufgefrischt wurde und die so einfache Grundsätze enthielten wie:
- „Wir halten Pausenzeiten ein“
- „Wir halten unseren Arbeitsplatz sauber und übergeben ihn auch
aufgeräumt an die nächste Schicht“ - „Wir gehen nicht 20 Minuten vor Arbeitsende duschen etc.“
Es war nicht möglich von den beiden Betriebsräten innerhalb von 6 Wochen ein OK zu diesen Verhaltensgrundsätzen zu bekommen, da man die Einführungskampagne nicht ohne die Zustimmung der Betriebsräte starten wollte.
Und warum? Man befand sich im Wahlkampf für die nächste BR Wahl, die Betriebsräte übertrumpften sich gegenseitig mit Forderungen und argumentierten, „alles sei zum Wohle der Mitarbeiter und man müsse ja kämpfen“. Es gab sogar Streikaufrufe mit teilweiser Arbeitsniederlegung und das in einer Zeit, wo das Unternehmen um jeden Auftrag und jeden Euro an Kosteneinsparung kämpfte. Den Vogel schoss dann ein BR ab, als er eine Rückerstattung des, durch den Streik verursachten „Verdienstentganges“ als Bedingung für weitere Verhandlungen machte. Einfach unglaublich.
Ich möchte dem BR keine Absicht unterstellen – sicher aber Kurzsichtigkeit und isolierte Denkweise. Es war offensichtlich, dass durch diese Taktik beide Betriebsräte einen wesentlichen Beitrag für die immer schlechter werdende Position des neuen Werkes geleistet haben.
Die Reißleine und ein wenig Glück
Aus heutiger Sicht hätte man viel früher dafür sorgen müssen, dass nur „ein“ Betriebsrat als Verhandlungspartner dem Management gegenüber sitzt und nicht zwei, die auch noch gegeneinander wahlkämpfen. Das Glück wollte es, dass kurz nach der geschlagenen Wahl der Gewinner der BR Wahl sich aus dem Unternehmen verabschiedete, um eine Gewerkschaftskarriere zu starten. Damit war der Druck ein wenig draußen und ein eher schwacher BR folgte nach. Gleichzeitig hat die zuständige Europaleitung die Verhandlungen weitgehend eingestellt und damit ein klares Signal gegeben, dass man an diesem Standort so nicht mehr festhalten muss. Dazu aber später.
Man hatte ja eigentlich noch ein großes Ass im Ärmel und das war die neue Valuestream Organisation. In meinem Blog 4 habe ich schon davon berichtet. Ein wesentlicher Vorteil dieses Ansatzes war es, dass man die Führungsspannen am Shopsfloor drastisch verkleinerte mit dem Resultat, dass man eine ganz neue Führungsebene von etwa 20 „Gruppenleitern“ benötigte. Zum spannenden Auswahlverfahren und der weiteren Vorgehensweise aber das nächste Mal – bleiben Sie dran 😉
Dipl. Ing. Siegfried Neubauer ist Experte bei NeuKurs. Er arbeitet als systemischer Organisationsberater und wurde vom Institut für Systemische Beratung (ISB) in Wiesloch / Deutschland zertifiziert. Er ist Gründer (2008) der VIST – Vienna International School of Thought, einem international ausgerichteten Managementausbildungsinstitut.
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Liebe Anne-Katrin,
diese Sperre ist in den meisten Fällen sicherlich sinnvoll. Dazu sagen möchte ich, dass dieser Blogeintrag die Meinung und Erfahrung von Herrn Neubauer zum Ausdruck bringt. Ich glaube, dass es einerseits klare Regelungen braucht, andererseits auch von Beteiligten aller Seiten Flexibilität gefordert ist – sowie Verständnis für die Forderungen und Positionen des jeweiligen Gegenübers.
Danke jedenfalls für Ihren Input!