Change Management – das Anfangsdilemma

„To be or not to be – oder die letzte Chance zweier Produktionsstandorte durch eine Fusion wieder wettbewerbsfähig zu werden. Ein spannender Tatsachenbericht über Organisationsentwicklung, Change Kommunikation und Führung und was das alles mit Glück zu tun hat.“

 

Teil 9: „Die neuen Gruppenleiter – und das Anfangsdilemma!“

Ein wesentlicher Punkt in der Reorganisation war die Einführung einer neuen operativen Führungsebene am Shopfloor. Die bisherige Führungsspanne von bis zu 100 Personen in einer Schicht auf der einen Seite und die Ausrichtung auf Value Streams auf der anderen Seite machten diesen Schritt nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig. Schon in den ersten Diskussionen trat das Dilemma zu Tage – man hatte für die kurze, zur Verfügung stehende Zeit erstens zu wenig Möglichkeiten von extern jemanden zu holen und zweitens intern zu wenig Kandidaten, denen diese Aufgabe vom Management zugetraut wurde. Gleichzeitig gab es intern wiederum zu viele Menschen, die sich diese Aufgabe selbst zutrauten. Echt spannend.

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Faktor war, dass mit der Ernennung eines Gruppenleiters auch die Gehaltseinstufungen neu geregelt werden mussten. Ein Thema, bei dem der Betriebsrat (BR) natürlich ein Wörtchen mitzureden hatte – was er auch leidlich an mehreren Stellen tat.

Wer soll es werden?

Es war relativ rasch klar, dass man einen sehr strukturierten und transparenten Prozess benötigt, um intern jene 22 zukünftigen Gruppenleiter auszuwählen, die man mit dieser Aufgabe betrauen wollte. Begonnen hat es mit der Formulierung eines Anforderungsprofils an Gruppenleiter und einer Qualifikationsmatrix, was diese Gruppenleiter können müssen. Dabei wurde auch eine zeitliche Perspektive eingebaut – was muss ein Gruppenleiter im ersten Jahr können, im zweiten und dann im dritten, um die notwendigen Entwicklungsschritte auch plausibel planen zu können.

In einem ersten Workshop mit dem Managementteam und dem BR ging es schon ans Eingemachte und man begann erste Namen zu diskutieren. Dabei wurde am Beginn recht vorsichtig und wertschätzend über potenzielle Kandidaten diskutiert, ob und in welcher Ausprägung sie dem Anforderungsprofil entsprechen würden und wo sie in der Qualifikationsmatrix positioniert sein könnten. Als Ergebnis der Diskussion wurden die Namen der potenziellen Kandidaten auf Karten geschrieben und in drei Kategorien auf einer Pinnwand platziert. Die Kategorien waren:

  1. Top-Kandidaten im Sinne von „die sind 100% geeignet“
  2. Ja-aber-Kandidaten im Sinne von „die muss man noch da und dort klar weiterentwickeln“
  3. Vielleicht-Kandidaten im Sinne von „mit viel Bauchweh und nur dann, wenn wir keinen anderen haben“

Der Frust war bei allen groß, da in einem ersten Durchgang in der Kategorie 1 genau drei Top-Kandidaten, in der Kategorie 2 etwa fünf Ja-aber-Kandidaten und in der Kategorie 3 ca. 50 Vielleicht-Kandidaten zu finden waren. Zur Erinnerung – man benötigte 22 Gruppenleiter. Dem Managementteam und dem BR war diese unangenehme Erkenntnis, nämlich kaum geeignetes Personal für diese Aufgaben zu haben, buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

Der Eklat

In der Folge wurde in dieser Diskussion auch immer klarer, dass es von allen Seiten Bestrebungen gab, bestimmte Kandidaten durchzusetzen und in Stellung zu bringen. Dabei wurde der Diskussionston trotz Bemühungen der Moderatoren immer rauer und offensichtliche Schwächen von potenziellen Kandidaten immer offener angesprochen. Ein Mitglied aus dem Managementteam verhielt sich dann sehr ungeschickt, in dem er das Alkoholproblem eines Kandidaten rausposaunte und sich abschätzig über ihn äußerte. Das führte zum Eklat. Der BR sprang geschlossen auf und verweigerte die weitere Zusammenarbeit mit der Begründung, dass man auf der Ebene nicht weiterdiskutieren werde. Nicht ganz zu Unrecht, meine ich, wenn auch etwas überzogen. Auf jeden Fall wollte der BR geschlossen das Meeting platzen lassen und den Raum verlassen.

In der Situation kam uns ein kleiner Zufall zu Hilfe. Der Meetingraum hatte zwei Türen und der BR wollte durch die weiter hinten liegende Tür den Meetingraum verlassen. Aus irgendeinem Grund war diese Tür diesmal zugesperrt, was sie sonst nie war. Also musste der BR wohl der übel bei allen anderen Teilnehmern aus dem Managementteam und uns als Moderatoren vorbei und vorne den Raum verlassen. Dort stand aber ich und ich wusste, wenn ich den BR jetzt gehen lassen würde, können wir die Sache für lange Zeit vergessen. Ich stellte mich dem BR buchstäblich in den Weg und versuchte die Situation zu kalmieren, was mir zum Glück auch gelang.

Die Rettung

Wir einigten uns darauf, in dem Workshop weniger emotional und wieder mehr sachlich zu werden und das Mitglied aus dem Managementteam entschuldigte sich. Wir brachten dann den Workshop ganz gut zu Ende und hatten ein paar Kandidaten mehr gefunden, die man als geeignet einstufte. Aber noch immer zu wenig, da man ca. 30 Kandidaten wollte, aus denen dann in einer „Standortbestimmung“ (eine Art Assessment Center) 22 Gruppenleiter ausgewählt werden.

Man verständigte sich darüber, dass jetzt alle eine Nachdenkpause einlegen und dass nichts aus dem Workshop nach außen dringen darf. Es war allen klar, dass sonst sofort Gerüchte im Unternehmen kursieren werden und dass auf verschiedenen Ebenen interveniert werden wird. Zum Glück hielten sich alle einigermaßen daran.

Es gelang in einem zweiten Workshop etwa 2 Wochen später, die ca. 30 Kandidaten zu fixieren. Es war für alle ein ausgewogenes Kandidaten-Verhältnis und man wusste, im Zuge der Standortbestimmung mussten die Kandidaten Farbe bekennen und es würde sich dann Spreu vom Weizen trennen. Und genau so war es dann auch, dazu aber mehr im nächsten Blog – bleiben Sie dran 🙂

 

Dipl. Ing. Siegfried Neubauer ist Experte bei NeuKurs. Er arbeitet als systemischer Organisationsberater und wurde vom Institut für Systemische Beratung (ISB) in Wiesloch / Deutschland zertifiziert. Er ist Gründer (2008) der VIST – Vienna International School of Thought, einem international ausgerichteten Managementausbildungsinstitut.

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